Allgemein, Unterhaltung

Haben Engel wir vernommen…

Alt oder Sopran? Diese Frage stellte ich mir am Morgen von Heiligabend. Die Uhr des Kantonsspitals Aarau zeigte 6.30 Uhr. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters versammelten sich vor dem Empfang im Haus eins. Sie alle und meine Wenigkeit verfolgten  eine gemeinsame Mission: Singen für die Patienten im Kantonsspital Aarau.

Das Weihnachtssingen für Patienten im Kantonsspital Aarau erfreut sich seit Jahren einer grossen Beliebtheit. Entstanden sei der Anlass in den 60er Jahren. Die Kantischüler von Aarau haben den Grundstein für den Event gelegt. Wie Arno del Curto, der Trainer des HC Davos, leitet Simon Moesch den ad hoc-Chor seit mehreren Jahren. So haben die Trainerlegende und der Dirigent garantiert etwas gemeinsam: In ihren Metiers sind sie Dinosaurier. Arno del Curto hält launige Drittels-Ansprachen beim Pausentee in der Kabine. Trainiert sein Team. Gestikuliert wild in der Coaching Zone. Peitscht seine Spieler zum Sieg. Während Simon seine Sängerinnen und Sänger sicher durch die Höhen und Tiefen der Tonleitern führt. Mit sanfter Bestimmtheit. Nicht verbissen. Wie ein Trainer, einfach lockerer.

Singen im Auto oder unter Dusche erzeugt Glücksgefühle

Zurück zur Eingangsfrage: Singe ich Alt oder Sopran?  Als ehemalige Flötistin, die sich später in ihrer Musiker-Laufbahn ins Percussions-Register abseilte, weiss ich dies noch nicht genau. Betrachte ich meine alten Schulzeugnisse, wäre die Antwort leicht. In Gesang und Musik erhielt ich meist eine Fünf. Im Instrumentalunterricht startete ich meine Laufbahn als Musikantin mit einem Viereinhalber. Steigerte mich bis zur Fünf. Anders im Sport. Setzte im Turnen eine Basis mit einem Dreieinhalber. Schaffte es nicht höher als bis zur Vier. Sorry, Arno.

Anstelle der Sportlerkarriere suchte ich mein Talent in der Musik. Und jetzt singe ich an Heiligabend erstmals in einem Chor. Wow. Natürlich habe ich einen Vorteil. Ich kann Noten lesen. Und kenne als Perkussionistin das Warten auf den Einsatz. Damals zählte ich Takte wie schlaflose Menschen Schafe. Und wie überall, fand ich immer wieder Tricks, die Zählerei zu minimieren. Vielfach sind musikalische Werke von Blasmusikkomponisten in unterschiedliche Themen gegliedert. Und das unendliche Abspielen von Demo-CD’s bot mir beim Üben meiner Partitur eine enorme Erleichterung. Meine Erfahrung im Singen basiert meiner Meinung nach auf verschiedenen Ebenen. Das Interesse an Klassik, Pop- oder Rockmusik. Je nach Sänger/in darf es ebenso Schlager sein.  Blues. Oder Weihnachtslieder. Und die Freude, unter der Dusche oder im Auto zu singen. Vermutlich, weil Mutter als passionierte Sängerin in Chören und im Familienverbund dies genauso beherrscht. Also wage ich den Versuch und entscheide mich (vorerst) in Alt zu singen. Bei den «Gassenhauern» wie Oh, du fröhliche, Stille Nacht, Ihr Kinderlein kommet funktioniert dies recht gut.

Simon macht Liedersandwiches

Wie bei den Sandwiches, zeigt sich die Palette der Weihnachtslieder als reichhaltig. Ich kenne Viele vom Hörensagen, sang sie aber bisher selten. Bei unbekannten Liedern kommt es bei mir zum Aha-Erlebnis. Denn die Mappe zum Weihnachtssingen am KSA beinhaltet ein reichhaltiges Potpourri. Sogar ein afrikanisches Lied gehört zum Repertoire.

Nach Stimmübungen und wenigen Probenläufen bei einzelnen Liedern startet die Gruppe zum Singmarathon. Auf dem Programm stehen 20 Bettenstationen. Dazu braucht es einen Zeitplan. Pro Station drei Weihnachtslieder. Längere oder Kürzere. Teilweise mit 4 Strophen. Kürzere Werke wie Dona nobis pacem. Ein bekannter Kanon. Simon’s Gesangsprogramm gleicht also einem Lieder-Sandwich. Als versierter Chorleiter weiss er, Einfaches und Anspruchsvolles zu kombinieren. Für die singfreudigen Engel und ihre Zuhörer. Im ersten Teil klappt für mich das Singen im Alt erstaunlich gut. Natürlich wirken sehr erfahrene Chorsänger/innen mit. Stelle ich mich als Anfängerin neben eine Sängerin mit Erfahrung in der Alt-Tonleiter. Unsere Tour führt uns durch die Bettenstationen im Haus 2, 1 und vier. Damit sich der Chor auf seinen Wegen in die verschiedenen Abteilungen nicht verirrt, führt uns der Webpublisher des Kantonsspitals durch die endlosen Verbindungsgänge unterhalb des Spitals. Ein Labyrinth, das viel Spannendes verbirgt. Ich entdecke sogar eine Türe mit der Aufschrift «Fotostudio».

Wechsel vom Alt in Sopran

Nach zirka zwei Stunden freuen sich alle auf Kaffee, Tee, Orangensaft. Gipfeli und Schoggistängeli. Der CEO des Kantonsspitals, richtet ein paar Dankesworte an die singenden Engel und ihren Chorleiter. Und anstelle einer langweiligen Ansprache outet sich der Chief Executive Officer als Gedichteschreiber mit Talent. Chapeau. Frisch gestärkt singt die Gruppe weiter. Ich spüre, wie mein Bauch das Gipfeli und den Kaffee verdaut. Das Zerlegen der Nahrung in meinem Magen präsentiert sich mir als Verdauungsmüdigkeit. Meine Konzentration leidet. So entscheide ich mich flugs für einen Wechsel in den Sopran. Singe die Hauptmelodie. Dies kann, je nach Notenlage – anstrengender wirken für die Stimme. Meinen Hirnhälften gönne ich aber so etwas Entspannung.

Der Chor singt weiter mit Schwung, es wird fröhlich applaudiert. Von Patienten, vom Pflegepersonal. «Frohe Weihnachten» schallt hie und da durch die langen Gänge des Kantonsspitals. Heitere Begegnungen finden statt. Eine junge Frau schiebt ihren Putzwagen quer durch unseren Chor. Der Chorleiter wittert die Chance, eine neue Engels-Sängerin in den Chor einzuschleusen. Fragt, ob sie mitsingen möchte. Der Putzengel verneint, bahnt sich lachend einen Weg in den Lift und verschwindet.

«Schenkt dem Chorleiter mehr Beachtung»

 Im Haus sieben freuen sich bereits mehrere Patienten auf unseren Gesangsvortrag. Sie sitzen wartend an den Tischen in der Halle vor den Aufzügen. Nach dem zweiten Lied animiert Simon die Zuhörer, einen Liederwunsch zu äussern. Der beflügelte Chorleiter lässt uns d i e Klassiker unter den Weihnachtsliedern singen. Von Johannes Daniel Falk und Franz Gruber. Die zauberhafte Stimmung paart sich mit Lockerheit. Und Ich fühle mich wie ein Engel. Für heiteres Gelächter in den Sängerreihen sorgt später das Feedback eines Patienten. «Der Chor sei wirklich sehr versiert, meint er.  Es gäbe trotzdem noch viel Potential beim Beachten der Kommandos des Chorleiters. Er als langjähriges Mitglied eines Männerchores rede aus Erfahrung.» Dankbar über die Unterstützung aus der Zuhörerreihe gewährt Simon dem Mann ebenfalls ein Wunschlied.

Mit «Schlaf wohl, du Himmelsknabe» und «Ihr Kinderlein kommet» erklingen in der Frauenklinik die letzten Lieder an diesem Morgen. Ein kleiner Hosenmatz, ich schätze ihn zwei Jahre alt, begleitet seinen Vater und beobachtet das Geschehen im ersten Stockwerk der Frauenklinik. Der Chorleiter stimmt die Töne an zum nächsten Lied für Sopran, Alt und Tenor. Die Tonleiterfanfare erklingt in Richtung des Juniors, der sich zuerst verdutzt, aber neugierig neben Simon postiert. Nach «Little Jack», einem heiteren Kanon, schenken sich Simon und der junge Zuhörer einen High-Five. Wie beim Eishockey.

Für mich geht ein stimmungsvoller Morgen, der Herz und Seele berührte zu Ende. Bei Sandwich und Getränken dankt Simon Moesch allen Teilnehmern. Alles lief nach Plan. So machen sich die knapp 50 Engel wieder auf den Heimweg nach Aarau, ins Fricktal, in den Kanton Solothurn oder ins Dorf der sprechenden Kühe. Heiligabend darf kommen. In 350 Tagen ist es wieder soweit. Mein Wecker wird an diesem Morgen um 5.20 Uhr klingeln.

 

Vorheriger Beitrag Nächster Beitrag

Bestimmt mögen Sie auch

Keine Kommentare

Kommentar hinterlassen