Genuss

Eine Nacht im Gourmet-Tempel

«Das Leben endet zu schnell, um schlecht zu essen,» lautet eines meiner Lebensmottos.» Besonders in den Ferien gönne ich mir mal einen kulinarischen Höhenflug.

Vermutlich fiel der Grundstein dieses Entscheids bereits am Mittwochabend. Ich schlendere zufrieden über die Promenade von Ascona. Kaufe mir in einer Gelateria in einer Seitengasse eine Vanilleglace. Nach drei Löffeln schicke ich die kalte Lust ins Nirwana. Schmeisse sie in einen Abfalleimer. Das geschieht mir selten, lieber Leserschaft. Doch meine Geschmacksnerven protestieren. Entscheiden sich, dies sei keine Vanilleglace. Nein, eher ein Mischmasch. Bestehend aus künstlichen Süssstoffen und parfümiertem Abwaschwasser. So gruusig!

 

So starte ich das Abenteuer «Investition in gutes Essen». Nach einer Dusche und wenigen Styling-Handgriffen spaziere ich zum Speiselokal. Eine junge, freundliche Kellnerin mit brauner, dunkler Mähne nimmt mich in Empfang. Für eine Allein-Esserin wie mich gibt es freie Tische. Die Uhrzeit: ViertelnachSieben. Ich entscheide mich für einen Tisch draussen auf der Terrasse. Klar, der Sommer kommt im Tessin auch später. Die Abende zeigen noch keine Temperaturen, um im kurzen Rock draussen zu speisen. Ich trage Jeans, ein Trägershirt, ein luftiges Langarmoberteil mit ¾ Ärmeln. Darüber einen Blazer. Der kühle Wind empfiehlt die Mitnahme einer Faserpelzjacke. Diese liegt im Kleiderschrank des Hotelzimmers. Egal, denke ich. Für den Moment.

 

Frau Kellnerin bringt mir die Speisekarte. Erklärt mir nett mir die Küchenhits, eine Pasta mit Morchel–Sauce. Und erwähnt ebenfalls den Fish of the day. Ein Kabeljau. Da die Speisekarte in der Hotelrezeption zum «Schnoiggen» aufliegt, kenne ich bereits mein Favoritenmahl. Ich wähle das Degustationsmenü. Drei Gänge. Champagner-Risotto mit roter Crevette. Als Hauptspeise folgt ein Kabeljau royal. Auf schwarzer Wurzelpaste, rohem Spargel sowie sizilianischen Zitrusfrüchten. Dazu wird roter Reis serviert. Abschliessend geniesse ich ein Dessert. Für die Schwimmfähigkeit des Fisches trinke ich ein Deziliter Chardonnay. Und ein Flasche frooonsösisches Mineralwassäääär. De la source de Badoit. Kostet neun Stutz. Das Menü übrigens 79 Franken. Mit den Getränken erhalte ich ebenfalls ein Korb mit verschiedenen Brötchen. Laugenbrötli, Ruchbrot. Dazu einen Aufstrich aus Oliven oder Tomaten. Ich favorisiere die vermüesleten Liebesäpfel. Lecker.

 

Nun beschäftige ich die Kochbrigade, die nun ihren Kühlschrank öffnet und zu zaubern beginnt. Natürlich nicht nur für mich. Eine Gruppe von sechs Personen feiert einen Geburtstag. Ein Paar trinkt einen Apero. Nebst der Kellnerin, die mich bedient, entdecke ich einen weiteren Gästebetreuer. Das Servicepersonal wirkt nicht gehetzt, mit einer Coolness und der Ruhe eines Yogalehrers erledigen sie all ihre Aufgaben. Essen servieren. Gäste betreuen. In diesem Lokal arbeiten heisst es «nicht Stunden zählen und Dienst nach Vorschrift ausüben». Sondern mit Passion für die Gäste da sein und ihnen einen wunderbaren Abend ermöglichen. Total relaxt. Als Erstes folgt der obligate «Gruss aus der Küche». Im Unterschied zu den Petri- oder Waidmannsheilmenschen lassen Köche Taten sprechen. Die reden nicht um den heissen Brei herum.  Sie servieren mir zu Beginn meines Menüs eine Mini-Mini-Pizza. In der Grösse eines Fünflibers. Irgendwann mal liefere ich der Küchenbrigade einen Konter. Schreite in die Kochstube eines Gourmettempels und schreie lauthals: «Hallo ihr Brutzler, Speisenzauberer. ich grüsse Euch ebenso.» Oder lege nach dem Dinner eine Visitenkarte meiner Blogseite auf den Unterteller der Espressotasse.

 

Nun serviert mir meine Kellnerin, die im Gegensatz zu mir perfekt italienisch spricht, mein Risotto. Die Engerlingsfische auf dem Risotto ähneln einem schlafenden Liebespaar auf Luftmatratzen während des Urlaubs auf Korsika. Als Tabuzone streute der Koch einen Streifen Gewürz zwischen das Meeresgetier. Ich vermute Pfeffer. Und wer glaubt, der Teller sei von der Menge Risotto wie ein «nouvelle cuisine Gericht» gefüllt, wird eines anderen belehrt. Nach diesem Dinner brauche ich keinen Zusatzhamburger oder «den nächtlichen Marsch zum Kühlschrank». Variante zwei fällt eh ins Wasser, da mein Zimmer über keinen Kühlschrank verfügt. Ich fühle mich bereits satt. Weil die Zubereitung des Kabeljaus ein paar Minuten benötigt, entsteht eine Pause, wo sich mein Magen an die Zerkleinerung der Reiskörner macht.

 

Das schlafende Crevetten-Ehepaar auf dem Risotto-Bett.

 

Die Truppe mit dem Geburtstagsjubilar wechselt nun den Tisch. Begibt sich in den Innenraum des Restaurants. Die Sonne protzt an diesem Donnerstagabend nicht mit einem Sonnenuntergang. Ich bin nun die Einzige, die draussen auf der Veranda sitzt. Ich mustere die Passanten, die in Richtung Promenade waggeln. Sie beäugen mich ebenfalls. Fragen sich mit jeder Garantie: «Wie sieht hier das Essen aus? Und: «Isches ächt tüür?»

 

Nun folgt der Hauptgang. Der Fisch fühlt sich butterzart an. Vergeht mir auf der Zunge. Die Sauce und der Grünspargel geben dem Meerestier eine farbige Bühne. Der rote Reis rundet das Gericht farblich ab. Aus meinem Bekanntenkreis hörte ich kürzlich jemanden erzählen: «In Restaurants esse ich das, was ich zu Hause nicht koche.» So mache ich es ebenfalls. Herrlich. Glücklich und in Gedanken zwei Kilo schwerer sitze ich später vor dem leeren Gedeck. Ein letzter Schluck Chardonnay fällt über den verspeisten Fisch in meinem Magen. Mittlerweile ist es dunkel. Nur die Beleuchtung der Restaurants werfen ein sanftes Licht auf die Promenade. Mich friert es. Und so interviere ich freundlich bei meiner Gästebetreuerin. Lasse mich für das Dessert ins Innere des Lokals begleiten.

 

Wenn der königliche Kabeljau die schwarze Wurzel ziehen will. Köstlich.

Der Innenraum sieht aus, als hätte kürzlich ein Filmteam für einen JamesBondStreifen eine Filmkulisse errichtet. Für die Szene mit James Bond und dem Bösewicht. Braune Design-Ledersessel und eine braune Ledercouch dominieren das Bild. Ich mache es mir auf der Couch gemütlich.  An der Wand gegenüber hängt ein riesiger Flat Screen, der wie ein Aquarium wirkt. Kleine Fische, grosse Schwanzflössler und farbige Flitzer gleiten schwebend über den Bildschirm. Vorteil: Das Fisch-TV braucht keine Reinigung und bettelt nicht um Futter. Ich fühle mich unglaublich beruhigt und erinnere mich an meine Talente in der Kategorie «Fernsehschlafen». Eine wohlige Wärme steigt in mir auf. Das Rechteck-Fenster an der Kopfseite des Esstempels beherbergt ein Gas-Cheminée. Die Flammen züngeln geduldig und lassen mich vom Sekundenschlaf träumen. Würde mir Frau Kellnerin oder der Chef des Lokal jetzt eine warme Kuscheldecke bringen – ich würde nicht «Nein» sagen. Mich hinlegen. Im Nu ins Reich der Träume abtauchen. Das wäre doch ein prima Story für eine «Wünsch mir was Sendung im Fernsehen». Eine Nacht im Gourmettempel übernachten.  Vorher mit der Kochbrigade ein Glas Wein trinken.

 

 

Fisch-TV, die warme Kuschel-Decke und eine bequeme Couch würden mir reichen fürs Fernsehschlafen im Gourmettempel.

Zum Schluss serviert meine Gästebetreuerin das Dessert. Weisse Schokoladensteine mit Rhabarber-Kompott und Eisenkrautsorbet. Weltklasse. Um nicht als «Schlafmütze» im Lokalanzeiger vom Langensee zu erscheinen, bestelle ich zur «Wachbleibenprävention» einen Espresso. Zahle später zufrieden meine Speisen. Getränke. Und freue mich auf die Nacht in meinem Zimmer mit dem Romeo&Julia Balkon. Mit Blick auf den See. Buona notte, amici.

 

Süsse Dessert-Träume verleiten zum Sekundenschlaf.

 

 

 

 

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