Wenn ihr einmal so schön gewesen seid wie wir, ist es schwierig, diesen Zustand zu eliminieren. Dieser Satz könnte von den drei Darstellerinnen der Fernsehserie «drei Engel für Charly» stammen. Edith und ich teilen ihre Meinung ebenso.
Denn Farah Fawcett, Jaclyn Smith und Kate Jackson verkörperten damals d i e Schönheitsideale in den späten 70er Jahren. Der Erfolg der Serie beruhte nicht nur auf der Originalität der Drehbücher. Die Engel waren eher eine Art Schönheitsbotschafter, stilbildend für Mode und Makeup.
Knapp vierzig Jahre später rücken neue Engel in den Vordergrund. Was die Mode betrifft sehen fast alle gleich aus. Sie tragen vielleicht pinkfarbene Socken, ebenso pinkfarbene Shirts. Dazu Turnschuhe und vielleicht schwarze Leggins. Um den Kopf tragen sie Stirnbänder mit aufgedruckten Startnummern. Welcome, muddy angels! Have fun and enjoy your run.
Die Idee, am Muddy Angel Run teilzunehmen, lieferte meine Zumba-Instruktorin. Sie war ebenso wie ich eine Teilnehmerin einer Laufgruppe, die 2016 ihr sportliches Highlight feierte. Wir lernten unter Anleitung richtig durch Wälder und über Wiesen zu joggen. Irgendwann im Spätherbst postete sie einen Kommentar unter dem Link des Muddy Angel Runs im WhatsApp-Chat: «wer hätte Lust am Muddy Angel Run dabei zu sein? Meine Antwort lautete: Ja, wieso nicht? Ich könnte es mir durchaus vorstellen. Minuten später folgte ein Fegefeuer an Kommentaren. Unsere Laufgruppe diskutierte eifrig mit. Einige warnten vor Verletzungsgefahren, andere blätterten in ihren Terminkalendern. Stellten mit Wehmut den Beginn der Sommerferien fest. Und wussten bereits zu diesem Zeitpunkt: Eine Teilnahme sei unmöglich.
Auf meiner Löffel-Liste steht: an einem Schlammlauf teilnehmen
Meine Motivation, dabei zu sein war die Folgende: Gutes zu tun, ein Prozentteil meines Eintrittstickets floss Projekten gegen Brustkrebs zu. Ich kenne Menschen, die diese Krankheit erfolgreich hinter sich liessen. Und schliesslich habe ich auf meiner Bucket-Liste geschrieben: Ich will an einem Schlammlauf teilnehmen, Spass haben. Gesagt, geschrieben und weitererzählt. Winter und Frühling zogen durchs Land, der Sommer rückte näher. Auf Facebook las ich immer wieder neue Aufrufe für den Schlammlauf. Ich spürte, dieser Event soll nicht ohne mich stattfinden. Und ich war überzeugt, irgendjemand würde ebenso wie ich «die Sau rauslassen» wollen. Etwas Verrücktes tun.
Und siehe da: In Edith, einer Arbeitskollegin, fand ich die perfekte Begleiterin. Wir debattierten über unser Outfit, sahen uns Bilder aus vergangenen Veranstaltungen an und amüsierten uns dabei köstlich. So buchten wir unsere Tickets inkl. Parkplatz. Als Hingucker organsierten wir uns zwei grellgrünfarbene Tüttus. Im Ausverkauf erstand ich mir Puma-Leggins in violett und pink, gestreift. Ich zahlte 15 Franken, für ein Sport Shirt 12 Franken. Meinen Adidas Tretern, gefühlte 12 Jahre alt würde ich so den letzten irrwitzigen Spaziergang gönnen. Und garantiere ihnen anschliessend einen Platz im Friedhof der Sportschuhe.
Das Bad in der Eselsmilch ist verpönt, Schlammbaden angesagt
Beim Gang durch Schlamm und Wasser benötigten wir eine praktische Frisur. Also Haare zusammenbinden, Schwänzli machen, damit die ganze Sosse nicht hemmungslos ins Gesicht fliesst. Ich entdecke im Detaillisten mit den vier orangen Buchstaben noch einen 1 Haarspray, mit dem sich die Haare für einen Tag färben lassen. In Pink, hellblau, lavendelviolett oder mintgrün. Ich entscheide mich für Pink und minigrün. Unser Wochenende der Gegensätze steht vor der Tür. Ich packe die letzten Utensilien in meine FREITAG-Tasche, wie ein Satz frische Kleider, Frottiertuch, Kamm, Haarspängeli, Bananen, Getränke, Sonnenbrille und alle Tickets, die ich benötige.Kurze Zeit später schwinge ich mich in meinen Baby Porsche, drücke das Gaspedal durch fahre über das Benkerjoch zu meiner Kollegin.
Unser Ziel heisst Hüntwangen. Wir fahren übers Land, lassen Wohngemeinden hinter uns, die wir nur vom Hörensagen kennen. Im Zürcher Weinland angekommen, kramen wir unser Sack und Pack aus dem Auto, dem kleinen Schwarzen aus dem Hause Chevrolet. Auf dem Veranstaltungsgelände geht mittlerweile die «Post» ab. Unzählige Frauen, meist jüngeren Datums, tummeln sich im Start-und Zielbereich. Einige tragen pinkfarbene Stirnbänder mit einer Startnummer. Andere wickeln sich ein Handtuch als Turban um ihre nassen Haare. Diese Läuferinnen waren bereits auf der Strecke und hatten mit Sicherheit eine Menge Spass. Sie freuen sich jetzt garantiert auf eine Dusche.
Willkommen im Hexenkessel
Im Startbereich wummert laute Musik. Das Gelände im und ums Amphitheater mutiert zum Hexenkessel. Eine weitere Gruppe mit Schlammengeln absolviert mit den bootcamper-Coaches ein Warmup. Diese Ladies gehen in Kürze auf den Parcour. Edith und ich deponieren in der Zwischenzeit unsere Habseligkeiten im bewachten Garderobenzelt, machen letzte Selfies und begeben uns anschliessend ins Startgelände. Wir öffnen unseren Adrenalin-Stausee und lassen es sprudeln.
Beim Warmup heizen wir unsere Muskeln, Gelenke, Sehnen und den Puls auf. Das Adrenalin köchelt bereits. Zur Musik von ACDC «Highway to Hell» starten wir als letzte Laufgruppe um 16.20 Uhr. Wir haben es nicht eilig. Spazieren auf dem Naturweg zum ersten Hindernis, eine Reifenburg. Aus Sicherheitsgründen suche ich mir die Strecke aus, wo wenige Reifen liegen. Später kommen wir zum einem alten Schiffscontainer. Wir klettern an der Strickleiter hoch. Stehen im Nu auf dem Dach. Nun gilt es ein Netz zu überqueren. Idealerweise auf allen Vieren, etwa so ähnlich wie im Vierfüsslerstand, auf den Knien.
Wir stürzen uns in die braune Brühe
Zugegeben: ich weiss die Reihenfolge nicht mehr genau, wo und wann welches Hindernis auf uns wartete. Hauptsache, es war schlammig. Nass. Dreckig. Chris von Rohr hätte Gefallen daran gefunden. «Meeeh Dräck, Ladies,» würde er rufen.
Fraglich wäre, ob er (wenn er starten dürfte) an einem Muddy Angel Run teilnehmen würde. Oder hätte er Angst um seine blonde Haarpracht? Beim ersten Hindernis mit Wasser kostete es mich etwas Überwindung, den Kopf unter Wasser zu halten. Durch ein Türchen zu tauchen. Dummerweise schlug ich beim Versuch aufzutauchen mit dem Hinterkopf ans Brett. Es erklärt die Grimasse, die ich nach dem Auftauchen ziehe. Ich pruste zuerst das Wasser weg. Aus Mund und Nase. Sehe ich nicht aus wie die Engelein auf den dem Springbrunnen, die Wasser spucken? Der Profi von sportograf hat sich mit Sicherheit über das Hammer-Bild gefreut. Ich ebenso.
Unterwegs auf der Strecke begegnen wir anderen Läuferinnen, die vor uns gestartet sind. Die Stimmung ist ausgelassen, wir winken uns zu. Umarmen uns herzlich, verteilen big hughes oder Grizzlybärendrücker. Egal wie schlammig wir aussehen. Am Muddy Angel Run macht das Spass. Auf der Bahnhofstrasse in Zürich fänden solche Aktionen garantiert keinen Anklang. Leute grundlos umarmen. Sei es mit oder ohne Schlamm. Später laufen wir eine Weile durch den Wald zum nächsten Hindernis. Wir fackeln nicht lange und entscheiden uns das Kletternetz links liegen zu lassen. Die Temperaturen liegen so gegen die 27 Grad, der Himmel ist bedeckt.
Schwimmen hinter schwedischen Gardinen
Wir freuen uns auf die weiteren Hindernisse im Parcours. Als nächstes folgt ein Wasserbecken, wo wir uns im Rückenschwumm fortbewegen. Den Kopf knapp über Wasser, über uns ein Eisengitter. Sich rücklings fortzubewegen, fällt uns leicht. Wir hangeln uns am Gitter durch die zirka 5 Meter lange Wanne gefüllt mit brauner Sosse. Aus Wasser und Schlamm.
Später, wir befinden uns wieder auf einem Waldweg, sollen wir eine 5er Gruppe bilden und eine Person auf einem Reifen ein kurzes Stück tragen. Ich nenne es «Förderung des Wir-Gefühls». Sei es beim Lauf oder das Bewältigen einer schweren Zeit, zum Beispiel während einer Brustkrebserkranung. Das Helfen, die Unterstützung steht im Vordergrund. Das Ziel-Gelände rückt näher. Bald laufen wir ins Ziel. Als Nächstes folgt der Schaumpool wir ins Ein Volounteer bedient die Schaumkanone und zaubert im Nu einen Schaumteppich in den Pool. Ein geiler Job. Hätte ich mich als Helfer gemeldet, würde ich liebend gerne an der Schaumkanone stehen und die Läufer verschönern. Edith springt euphorisch ins Schaumbad, versinkt buchstäblich für 5 Sekunden im Schaum. Kurz nach ihrem Auftauchen ist sie kaum wieder zu erkennen. In Schaum gehüllt gleicht sie einem Stalagnit nach einer Schönheitskur. Ich tauche ebenso unter die Schaumdecke und erscheine als Schaumskulptur. Wir beide kichern wie die Hühner über unser Aussehen. Es kommt noch besser. Als Mischung zwischen Alien, Schaummonster und Muddy Angel erklimmen wir einen kleinen Hügel mit Hilfe eines Seils. Wäre es Winter, sähen wir einer Seilschaft am Mount Everest zum Verwechseln ähnlich.
Wer möchte eine Gratis Umarmung?
Oben angekommen, treffen wir in unserem Schaumkleid auf einige Zuschauer am Rande der Laufstrecke. Nun mischt sich noch Übermut in unseren Adrenalin-Cocktail. Ich weiss nicht mehr genau, wer von uns beiden den Satz «Wir verteilen Gratis-Umarmungen, wer hätte denn gerne eine?» über die Lippen brachte.
Ein Zuschauer, ein Mann, schätzungsweise zirka 45 Jahre alt, mit der Statur eines Nachtklub-Türstehers sass etwas unbeteiligt auf den Stufen des Amphitheaters und blickte ins Zielgelände hinab. Ich fragte Edith:«Bist Du wie ich ebenso der Meinung, er sähe so aus, als wünsche er sich eine Umarmung von uns?» Edith nickte, ich ging schnurstracks auf den Mann zu und fragte ihn, ob er sich genau in diesem Moment einen Drücker wünscht. Er meinte, zuerst etwas verdutzt, später fast fordernd:«Ja.» Wahrscheinlich dachte er, der Muddy Angel aus dem Aargau hätte Schiss hätte und getraue sich nicht. Denkste. Ich schenkte dem Typen einen big hugh und übergab ihm dabei ein wenig Schaum.
Zum Schluss gings noch ins Bälle-Bad. Ähnlich wie bei Ikea, allerdings mit Wasserbällen in pink und weiss. Der Badeplausch dort artete aus in eine Partie Volleyball. Cool. So gegen 17.40 Uhr erreichten wir das Ziel. Wir liessen während 90 Minuten unsere Schweine tanzen. Die Herde hat sich danach aus dem Staub gemacht. Vielleicht wurde sie vom Adrenalinfluss fortgespült. Für Edith und mich war klar: Das war geil! Wo bietet sich sonst die Möglichkeit, in einem präparierten schlammigen Gelände sämtliche Hemmungen fallen zu lassen? Wir würden es wieder tun. Im 2018 gibt es sicher wieder die Gelegenheit, ein Muddy Angel zu sein. Als Engel-Duo. Oder in einem Team. Wir hauchen leise in die Weiten des Zürcher Weinlandes: Wer uns begleiten will, darf sich melden. Mit aller Wahrscheinlichkeit setzen wir beide dann noch ein Tick drauf, was das Austoben betrifft.
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