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Die Geschichte eines Rasenmähroboters

Mein Leben an meinem jetzigen Arbeitsplatz war langweilig. Verlief nach demselben Muster. So nach dem Motto:«Und täglich grüsst das Murmeltier». Ich stand auf der Wiese und wartete auf meinen Einsatz, ein Zeichen. Bei Sonne oder Regen. Tag und Nacht sollte ich verfügbar sein. Und immer einen perfekten Job erledigen. Statt unter grauem Büroalltag litt ich unter grünem Gartenalltag.

Würde ein Gewerkschafter meine Geschichte lesen, hätte er Mitleid, würde sich erbarmen. Und sich für meine Interessen einsetzen. Denn ich besitze keinen Arbeitsvertrag, erhalte keinen Lohn von meinem Arbeitgeber. Nur Logis. Und stehe ständig unter Strom, da ich ständig auf der Ladestation stehe.  In einem Buch habe ich kürzlich gelesen, ich wäre ein typischer Kandidat, an einem Burnout zu erkranken. Dies löst Ängste in mir aus. Ich bin doch so jung, möchte noch nicht ins Gras beissen. Kürzlich habe ich meinen Arbeitgeber um Erlaubnis gefragt, einen unbezahlten Urlaub machen zu dürfen.  Die Antwort steht noch aus. Ich möchte meinen Horizont erweitern, mich weiterbilden. Mein Arbeitsplatz ist der Garten eines Zweifamilienhauses. Genauer gesagt, ein paar Quadratmeter Rasen. Diesen muss ich hegen und pflegen.  Übrigens, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich heisse Ambrogio, ich bin ein Rasenmähroboter.

Ich will Ihnen meine Geschichte erzählen. Eine Bloggerin, die im Obergeschoss des Zweifamilienhauses wohnt, hat sich bereit erklärt, diese für mich aufzuschreiben und später zu veröffentlichen.

Über meine Herkunft oder Kindheit kann ich nicht viel erzählen. Ich weiss nur: Ich wohnte längere Zeit in einem Laden. Dort traf ich viele Menschen, die mich bewunderten, sich für mich interessierten. Ich fühlte mich wohl, konnte den ganzen Tag im Regal auf der faulen Haut liegen und musste nicht arbeiten. Mann, war das eine geile Zeit! Und spannend. Ich hatte genügend Zeit, meine Umgebung zu studieren. Vis à vis meiner Behausung befand sich ein Büro, wo Menschen ein und aus gingen. Meist trugen sie dicke Prospekte unter dem Arm und hatten ein Strahlen in den Augen, wenn sie das Büro betraten und wieder verliessen.

Und in der Nacht leuchteten blaue Buchstaben hell von der Hausfassade dieses Ladenlokals.  Ich las: R E I S E B Ü R O.

Aufbruch in ein neues Leben

Eines Tages betrat ein junges Paar den Laden und wählte mich als ihren Rasenmähroboter aus. Die beiden zahlten für mich eine Ablösesumme und schleppten mich in einer Kartonschachtel in mein neues Zuhause. Ich wohne nun nicht mehr in der Stadt, sondern in einem Dorf wo Miststöcke dampfen und die Kühe sprechen können. Es gibt dort kein richtiges Reisebüro. Dafür ein Bahnhof mit integrierter Postagentur, eine Tanzschule sowie einen Selbstbedienungsautomaten ausserhalb einer Metzgerei. Und einen Salon für Hunde.

Ich bin zuständig für die Pflege der Grünfläche. Muss mit meinen scharfen Messern den Rasen schneiden. Ich bin jedoch nicht immer voller Enthusiasmus bei meiner Arbeit. Manchmal pfeife ich auf meinen Stellenbeschrieb und tänzle wie eine Zumba-Instruktorin über die den Rasen. Ich schwitze dabei wie eine Sau und rieche danach dementsprechend streng. Solche Spässe treibe ich nur nachts wenn mein Arbeitgeber schläft oder in seiner Abwesenheit. Lets have a party, yeah! Leider finde ich dann den Heimweg nicht mehr. So ein Pech. Oder habe eine Panne.  So chille ich später notgedrungen  unter dem Kirschlorbeer oder der Terrasse und falle dabei in einen komatösen Schlaf.

 

Ambrogio träumt

Später, im Traum sehe ich einen Froschteich, wo ein dicker fetter Frosch aus dem Wasser steigt und zu mir spricht: « He, Du alter Krieger, hättest Du nicht etwas Besseres verdient, als nur diese mickrige Grünfläche zu pflegen? Du hast drei Wünsche frei. Sag mir, was Du Dir denn wünscht!»

«Ich träume von Bildungsreisen. Ich möchte zusammen mit meinem Lebensabschnittspartner oder meiner Lebensabschnittspartnerin ein Praktikum absolvieren. In den grossen Fussballstadien dieser Welt wie zum Beispiel der Allianz Arena in München, dem Old Trafford in Manchester oder im Camp Nou in Barcelona. Unter dem Jubel der Zuschauer mähe ich mit meinem Schatz den Rasen. Messer an Messer. Nach getaner Arbeit gönnen wir uns Hummer, Weisswürste, Rotwein, Bier und Blubberwasser. Und später zeige ich meinem Darling mein mit Seifenblasen gefülltes Wolkenschloss. Am nächsten Morgen essen wir Birchermüesli und lesen  einige Kapitel aus dem Buch «Fussball- und Golfplätze – die schönsten Grünflächen aus aller Welt.»

 

Ich lebe weiter als Trinkbecher oder Seifenschale

Irgendwann wird der Tag kommen, wo mein Arbeitgeber mich vielleicht ausmustert. Dies weil ich den Rasen naturnah schneiden will oder Schabernack treibe. Wie ein Arbeitskollege von mir. Er mähte nebst dem Rasen auch die Polster der Liegestühle und schnipselte fröhlich drauflos. Wahrscheinlich geschah dies nicht grundlos. Er sah sich am Vorabend einen Film im Kino an. Keine Liebesschnulze, kein Thriller. Der Film hiess: Eduard mit den Scherenhänden.

Vielleicht darf ich vor dem Gang zum Recyclinghof nochmals zur Kur fahren. So eine Art Wellness-Urlaub. Erhalte neue geschliffene Messer, eventuell eine neue Bereifung und ein Softwareupdate. Dann wäre ich bereit für weitere grosse Taten. Vielleicht bestünde die Möglichkeit, in einem Landdienst-Einsatz in den Schweizer Bergen beim Heuen zu helfen. Oder ich lasse mich umschulen und arbeite während der Wintersaison als Lawinensuchroboter. Eventuell zahlt ein Sponsor oder Gönner Einarbeitungszuschüsse.

Ich glaube übrigens an ein Leben nach dem Recycling. Aus dem Metall meiner Messer entstehen vielleicht Schrauben. Aus der Kunststoffabdeckung eine hübsche Seifenschale. Oder Trinkbecher. Und das staatliche Radio spielt just in diesem Moment, wo der Mitarbeiter des Recyclinghofes mich auseinanderschraubt, den Titel «Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen».

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